Zusammenfassung: Im Toyota Way wird hervorgehoben, dass Erfolg durch ein tiefes Verständnis am Ort des Geschehens (Gemba) entsteht. Genchi Genbutsu bedeutet, am tatsächlichen Arbeitsort aktiv zu handeln – sei es bei Sicherheitsvorfällen, defekten Anlagen, Produktionsengpässen, reklamierten Produkten oder Kundenanliegen. Führungskräfte, die regelmäßig persönlich die Fabrikhalle besuchen, können die Ursache von Problemen besser verstehen. Prozesse werden während eines Gemba-Walks genau beobachtet und analysiert, um Interaktionen zwischen Mensch und Maschine zu erfassen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Langfristig fördert die Anwendung der Lean-Management-Methode eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung. Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen, die Genchi Genbutsu einsetzen, ihre Prozessqualität um bis zu 40 % steigern konnten¹. Erfahren Sie in diesem Beitrag, wie auch Ihr Unternehmen von dieser Methode profitieren kann.
¹ Jeffrey K. Liker, „The Toyota Way“, McGraw-Hill, 2004
Was ist Genchi Genbutsu im Lean?
Der japanische Begriff Genchi Genbutsu ist Bestandteil der Jidoka-Denkweise und bedeutet: “Gehe hin und sieh den Ort des Geschehens (Gemba).” Die Methode, entwickelt im 20. Jahrhundert im Toyota-Produktionssystem (TPS), ist ein zentrales Prinzip des Lean-Managements. Die Philosophie, direkt zum tatsächlichen Arbeitsort (Shopfloor) zu gehen, ermöglicht es Führungskräften, wertvolle Erkenntnisse aus der Perspektive der Belegschaft zu gewinnen. Anstatt sich auf Berichte zu verlassen, sorgt die Beobachtung mit eigenen Augen dafür, Missverständnisse auszuschließen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. So entsteht ein tiefgreifendes Verständnis aller Stufen einer Wertschöpfungskette – von der Fertigung bis hin zu Verwaltungsvorgängen und Kundenanforderungen. Der Führungsstil wird auch als „Management by Walking Around“ (MBWA) bezeichnet. Ziel ist die Förderung einer Kaizen-Kultur, in der kontinuierliche Verbesserungen angestrebt werden und die Belegschaft aktiv in die Entwicklung von Lösungen eingebunden wird.
Bedeutung von Genchi Genbutsu
Entscheidungen sollten nicht nur auf Basis von Berichten und Kennzahlen getroffen werden. Die Methode Genchi Genbutsu, was so viel bedeutet wie „Hingehen und Sehen“, ermöglicht eine tiefere und praxisnahe Problemerkennung. Dies ermöglicht es, genauere Details und menschliche Einwirkungen zu erkennen, die Daten und Berichte oft nicht hergeben. Ein Praxisbeispiel wäre, dass ein Unternehmen annehmen könnte, dass eine Produktionslinie unterdurchschnittlich arbeitet, während eine Vor-Ort-Begehung ergonomische Probleme oder Engpässe aufdeckt, die bei einer Analyse von Zahlen nicht ersichtlich wären. Ohne diese Praxis könnten Entscheidungen auf Grundlage unvollständiger Daten ergriffen werden, wodurch Maßnahmen unwirksam bleiben.
Gemba vs Genchi Genbutsu
Sowohl Gemba Walk als auch Genchi Genbutsu sind Lean-Management-Methoden, jedoch mit unterschiedlichem Fokus. Gemba bedeutet “der wahre Ort”, an dem Wert geschaffen wird. Während eines Gemba-Walk besuchen Führungskräfte in Lean Six Sigma den Ort der Prozessausführung, um Abläufe persönlich zu beobachten und mit Mitarbeitern in Austausch zu treten. Ziel ist ein tiefgreifendes Verständnis des Gesamtsystems und das Erkennen von Verbesserungspotenzialen. Genchi Genbutsu hingegen bezieht sich auf die detaillierte Analyse eines bestimmten Sachverhalts, Produkts oder einer Situation, um fundierte Entscheidungen zu treffen. Resultat eines Gemba Walk ist ein Überblick über das gesamte System, während sich Genchi Genbutsu auf die Analyse und Lösung konkreter Probleme bezieht. Beide Ansätze zusammen ermöglichen eine umfassende Optimierung der Wertschöpfung auf Prozess- und Detailebene.
Vorteile von Genchi Genbutsu
1. Direkter Einblick in den Produktionsprozess
Die Präsenz von Führungskräften am Produktionsort ermöglicht ein profundes Verständnis der Arbeitsprozesse, Herausforderungen und realen Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter. Dies führt zu zuverlässigen Informationen anstelle von indirekten Berichten.
2. Ganzheitliche Prozesssicht
Durch das direkte Beobachten vor Ort werden Zusammenhänge und Wechselwirkungen klarer erkennbar. Dies vereinfacht die Analyse von Ursachen und Auswirkungen von Problemen.
3. Effektive Problemlösung
Produktions- und Materialengpässe sowie Verschwendungen (Muda) werden direkt am Arbeitsort identifiziert und behoben. Vor-Ort-Analysen tragen dazu bei, Probleme besser zu identifizieren und zu lösen.
4. Effizientere Kommunikation
Die Zusammenarbeit von Führungskräften und Mitarbeitern vor Ort verbessert die Teamkommunikation und fördert ein gemeinsames Verständnis der Situation.
5. Kontinuierliche Verbesserung
Durch die Methode wird, ähnlich wie im Kaizen, Verbesserungspotenzial erkannt, das langfristig umgesetzt werden kann, um Prozesse, Produkte und Dienstleistungen zu optimieren.
Implementierung der Lean Management Methode
Die erfolgreiche Einführung von Genchi Genbutsu erfordert ein systematisches Vorgehen in vier Schritten:
1. Festlegung des Beobachtungsbereichs
Zu Beginn wird der zu beobachtende Bereich definiert, z.B. eine Montagelinie, ein Verwaltungsprozess, Lager, Produktionszelle oder eine Qualitätssicherungsabteilung. Methoden wie die Wertstromanalyse sind nützlich, um Optimierungspotenziale zu erkennen.
2. Planung des Gemba Walks
Bei der Planung des Gemba Walks ist sicherzustellen, dass typische Arbeitsbedingungen beobachtet werden. Ein interdisziplinäres Team mit unterschiedlichen Perspektiven trägt zu einer umfassenderen Analyse bei.
3. Anwendung von Genchi Genbutsu
Das Prinzip von Genchi Genbutsu wird durch den Besuch des Gemba umgesetzt. Führungskräfte analysieren Arbeitsabläufe und beziehen die Expertise der Mitarbeitenden mit ein, um ein tiefgehendes Verständnis der Situation zu erlangen.
4. Analyse und Lösungsentwicklung
Basierend auf den gesammelten Informationen werden Ursachen identifiziert und effektive Lösungen entwickelt.
Eine Genchi Genbutsu-Kultur fördern
Das Leitbild von Genchi Genbutsu ist es, eine Unternehmenskultur aufzubauen, in der das „Hingehen und Sehen“ eine grundlegende Denkweise in Unternehmen wird. Die Philosophie sollte so tief in Unternehmen verankert sein, dass sie auf allen Ebenen gelebt wird – von der Führungsebene bis hin zu den Mitarbeitern an der Front. Indem die gesamte Belegschaft Prozesse aktiv beobachtet, Fragen stellt und Annahmen hinterfragt, wird ein fortlaufender Zyklus von Verbesserung und Innovation initiiert. Diese Kultur fördert die Eigenverantwortung der Mitarbeiter, Probleme zu melden und praxisnahe Lösungen zu entwickeln, die zur Effizienzsteigerung des gesamten Unternehmens beitragen.
Bilder:
Adobe Stock – Copyright-Hinweis: © M Stocker – stock.adobe.com